Aphasie und Literatur
Wie in jeder Ausbildung gibt es auch in der Logopädie eine große Menge an Fachbüchern, die auf sachliche Art und Weise systematisch Themen beleuchten und Inhalte strukturiert vermitteln, um Störungsbilder besser verstehbar zu machen.
Im Bereich der zentralbedingten Sprachstörungen (sogenannte Aphasien) existieren darüber hinaus zahlreiche Bücher, in denen Betroffene den Umgang mit der Sprachstörung schildern. In diesen Erfahrungsberichten stehen weniger die Fakten im Vordergrund, sondern der Leser erhält einen Eindruck von den Herausforderungen des Alltags und den emotionalen Turbulenzen, denen ein Mensch mit Aphasie ausgesetzt ist.
Darüberhinaus gibt es eine Vielzahl literarischer Verarbeitungen des Themas „Aphasie“ (z.B. Sigfried Lenz „Der Verlust“ uvam. – eine ausführliche Liste wird nach Anfrage gerne zugeschickt).
Nun ist 2017 mit „Kirchberg“ von Verena Boos (Aufbau Verlag, 366 Seiten, 22.- Euro) ein neuer Roman hinzugekommen, in dem die Hauptperson (die 40 jährige Literaturwissenschaftlerin Hanna) nach einem Schlaganfall versucht, mit den gravierenden Einschränkungen ihrer verbalen Ausdrucksmöglichkeiten zurecht zu kommen.
Hanna, die in Berlin lebte und arbeitete, kehrt mit ihrer Halbseitenlähmung und der Sprachbehinderung nach Kirchberg zurück, ihrem Heimatdorf in der schwäbischen Alb. Dort zieht sie in das leerstehende Haus der inzwischen verstorbenen Großmutter und versucht trotz ihrer Einschränkungen wieder an ehemalige Kontakte anzuknüpfen. Ausgelöst durch den radikalen Schicksalsschlag und verstärkt durch die frühere Umgebung reflektiert Hanna ihr bisheriges Leben, v.a. die Beziehungen zu ihren Großeltern, zu der wenig präsenten Mutter, zu ehemaligen Liebhabern und dem Jugendfreund Patrizio.
Diese Erinnerungspassagen werden einige Leser vielleicht etwas zu lang ind ausufernd erscheinen, aber insgesamt gelingt es Verena Boos auf beindruckende Art und Weise zu schildern, wie es sich anfühlen muss, seine Sprache zu verlieren. Die Bilder und Beschreibungen, die die Autorin dafür findet, zeugen von einem tiefem Verständnis für die Situation der von Aphasie betroffenen Menschen.