„Die fröhliche Sprechschule“
Vor kurzem wurden in der Bibliothek der medizinischen Fakultät der CAU-Kiel veraltete Medien aussortiert. Als Kooperationspartner erhielt die Logopädieschule Kiel eine Liste mit den Titeln der Bücher, die thematisch mit Sprache, Sprechen, Stimme etc. zu tun haben, falls das ein oder andere Exemplar von Interesse sei.
U.a. entschied ich mich aus Neugier für ein Buch von 1957 mit dem Titel „Die fröhliche Sprechschule-Theorie und Praxis der heilpädagogischen Behandlung der Sprachstörungen-Mit einem Übungsteil zur Beseitigung von Sprachfehlern, zugleich zur allgemeinen Förderung der Sprechgeschicklichkeit und Sprechlust der Kleinen“.
Wie sich herausstellen sollte stand die Länge des Titels nicht im Verhältnis zum recht schmalen Heftchen mit gerade mal 100 Seiten.
Aber noch interessanter war der mit der Lektüre verbundene Ausflug in die Geschichte der sprachtherapeutischen Bemühungen. Interessant und anfangs auch erschreckend, denn die beschriebenen Schwierigkeiten des Sprechens werden allzu defizitorientiert als „Krankheit“ und „Abweichung von der Norm“ beschrieben wie die folgenden Beispiele belegen: da ist die Rede von „unbeholfen, irgendwie im Sprechen rückständigen, gehemmten“ und von „sprachkranken“ Kindern“ (S. 5), die in der „Behandlung Sorgen bereiten“.
Immerhin wird bereits zu diesem Zeitpunkt erkannt, dass es gilt, „das heilpädagogische Tun so ein(zu)richten, daß die Gesamtpersönlichkeit des Kindes Berücksichtigung findet“ (S. 6). Und weiter heißt es: „Der Forderung nach der Totalerfassung des Kindes widerstrebt es, wollte man, die mit allerlei Sprachgebrechen behafteten Schulneulinge, besonders die Stammler mit ihren ungeschickten Sprechorganen zwingen, in Einzelbehandlungen langweilige Übungen zur Gewinnung richtiger Einzellaute zu machen.“ (S.9) Stattdessen werden „triebgemäße sprechtherapeutische Gruppenübungen“ als Mittel der Wahl vorgeschlagen.
Heutigen Lesern fällt es schwer von diesem veralteten Sprachduktus, der oft wertend und etikettierend wirkt, zu abstrahieren, so auch, wenn betont wird, dass Stotterer willensschwach seien und demnach erst einmal eine „Willensbildung“ erfolgen müsse.
Liest man jedoch genauer, erkennt man hinter der Fassade der sperrigen Wortwahl, dass bereits zu der Zeit richtige Ideen und Ansätze zur Förderung von Sprechauffälligekeiten vorhanden waren.
60 Jahre sind seitdem vergangen und inzwischen hat sich nicht nur die Terminologie in der Logopädie gewandelt. Die Behandlungsansätze haben durch intensive Forschungsarbeit eine solide, abgesicherte Basis erhalten und es gibt nun zahlreiche Wege und Methoden, die zum Ziel führen, so dass es erst einmal einer ausführlichen Diagnostik bedarf, um das passendste Mittel auswählen zu können.
Fazit: Logopädie ist und bleibt ein spannendes Tätigkeitsfeld, das bereits auf eine lange Tradition zurückgreifen kann und sich auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse immer noch weiter entwickelt, indem neu erkannte Zusammenhänge und differenziertere Betrachtungsweisen integriert werden- zur Effektivierung der Therapie und damit zum Wohle unserer Patienten.