Katja saß vor Ihrem Selbstreflexionsbogen und ließ die gerade durchgeführte Aphasietherapie Revue passieren. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem Eingangsgespräch zurück, in der es aufgrund der Schwere der Sprachstörung ihres Patienten nicht zu einer wirklichen Verständigung gekommen war. Das hatte nicht nur ihr Gegenüber frustriert. Wie konnte sie bloß ihre Gesprächsstrategien so verbessern, dass es zu einem befriedigenden Austausch mit dem sprachgestörten Patienten kommen würde? Während sie über dieser Frage brütete, schweiften ihre Gedanken ab zum gestrigen Sonntag… am Strand von St. Peter-Ording hatte sie Strandbuggys beobachtet, die von den kites mit erstaunlicher Geschwindigkeit über den Strand gezogen wurden. Aufgrund der optimalen Windverhältnisse fuhren zahlreiche Strandsegler umher. Trotz der Vielzahl an Fahrzeugen und Drachen gelang es den Fahrern geschickt, sich nicht mit den Schirmen ineinander zu verheddern und das obwohl sie kreuz und quer durcheinander fuhren, je nach dem wie es die Windrichtungen, die Bodenverhältnisse und die Fahrrichtungen der entgegenkommenden Gefährte erforderte.

Katja hatte schon gestern diese Geschicklichkeit bewundert und als in ihr jetzt wieder diese Bild aufleuchtete, fiel ihr eine Parallele auf zu der Therapiesitzung, die hinter ihr lag: auch da hatten sich viele verschiedene Verständigungsstränge geschnitten. Dabei war es jedoch zum heillosen Verstricken gekommen. Was wäre aber, wenn sie versuchen würde, sich weniger zielstrebig auf ein kommunikatives Ziel hin zu bewegen, sondern geschickt auszuweichen, auch mal einen Umweg in Kauf zu nehmen, sich auch mal auf einen scheinbar unproduktiven Zick-Zack-Kurs einzulassen!? So wie auch beim Segeln bei Gegenwind nur Kreuzen hilft, so würde sie in der nächsten Therapieeinheit mal ein kommunikatives Kreuzen ausprobieren.

Schmunzelnd ersann Katja das Bild, wie sie mit dem Patienten das Segelkommando „Klar zur Wende“ ausrief, um einen neuen Schlenker beim Verständigen zu nehmen.

Wieder einmal war Katja froh, dass sie hier oben in Kiel ihre Logopädieausbildung begonnen hatte. Denn in ihre Heimatstadt (eine Kleinstadt im Mittelgebirge in der Mitte Deutschlands) wäre sie nie auf die Idee gekommen…

 

 

Veröffentlicht von Norbert Frantzen

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