„Leben“ heißt rückwärts „Nebel“

Der Morgen an der Kieler Förde am 21. September war ein nebliger. Hinter dem Nebel versteckt sich bekanntlich die Sonne. Und so war es auch an diesem Tag. Den SchülerInnen des Kurses XVII möge nach dem langen Weg durch den Nebel der letzten drei Jahre wärmende Sonne begegnen.

Zu Beginn ihrer Ausbildung waren neurolinguistische Termini, die SMART- Regel, die Doppelventilfunktion, die reflektorische Atemergänzung, der Wortschatzspurt, die Objektpermanenz, die Zungenruhelage, die Ableitungsmethode usw. böhmische Dörfer für sie. Bäume dicht an dicht, die zunächst große Schatten der Unwissenheit warfen. Sie betraten es mutig und interessiert, das Neuland. Inzwischen hat sich der Nebel gelichtet und die Lernenden sind nicht nur in die verschiedenen Gebiete der logopädischen Störungsbilder, ihre Diagnostik sowie Therapie eingetaucht, sondern sie haben zusätzlich etliche Abstecher in Nachbardörfer gewagt. So luden beispielsweise Veranstaltungen in Kinder- und Jugendpsychiatrie, Pädagogik, Pathologie, Musiktherapie, Phonetik und Soziologie zu Ausflügen und Entdeckungstouren ein.

Am 08.10.2020, also in wenigen Tagen, endet ihre Reise vorerst. Inzwischen liegen knapp drei Jahre voller Input, Lernerfahrungen und Wissensaneignung hinter ihnen. Die praktischen Prüfungen, in denen je ein/e bekannte/r Patient/in und ein/e unbekannte/r Patient/in behandelt wurden, konnten als allererstes im Prüfungsprozess abgehakt werden. Die schriftlichen Examenspüfungen liegen bereits ebenfalls hinter dem Kurs. Zwei, zu Beginn wahrscheinlich neblige Tage, an denen sie hoffentlich nicht allzu lange im Nebel gestochert und auch nicht im Nebel gestanden haben. Was würde sie erwarten? Wie würden die Fragen formuliert sein? Würde die Uhr Freund oder Gegner sein? Am 14.09. waren die Fächer Logopädie, Phoniatrie/ Hals- Nasen- Ohren- Heilkunde und Audiologie/ Hörgeschädigtenpädagogik an der Reihe. Am Folgetag warteten die Klausuren in Neurologie/ Neuropsychologie und Berufs- und Gesetzeskunde darauf, bearbeitet zu werden.

Dreizehn Tage liegen zwischen den schriftlichen Abschlussprüfungen und dem Beginn der mündlichen Prüfungen. Als freie Tage lassen sich diese, da spreche ich aus eigener Erfahrung, aber keineswegs bezeichnen. Es wird wiederholt, aufgefrischt, zusammengefasst, Karteikarten werden beschrieben und es wird sich in Lerngruppen getroffen – vielleicht sogar draußen, bei den wahrscheinlich letzten sommerlichen Temperaturen in diesem Jahr. Und möglicherweise erlebt der/ die eine oder andere Aha- Momente beim Vertiefen des Unterrichtsstoffes. „Wo Nebel sich lichtet, tanzen bunte Blätter.“ (Monika Minder) Bevor der Herbst kommt, der neue Herausforderungen, neue Aufgaben mit sich bringt. Morgen startet der Marathon der mündlichen Prüfungen mit den logopädischen Fachgebieten. Einen Tag später erfolgt die Abprüfung der phoniatrischen Kenntnisse. Wieder fünf Tage Pause. Die nächste kurzweilige Ruhe vor dem Sturm. Wobei man hier oben in Norddeutschland erst von Sturm spricht, wenn die Schafe keine Locken mehr haben. Sie wird kommen, die einundvierzigste Kalenderwoche. Endspurt. Die letzte Etappe auf dem Weg zum staatlich geprüften Logopäden/ zur staatlich geprüften Logopädin. Am 06.10. beginnt sie mit Psychologie. Den Tag darauf stehen Phonetik/ Linguistik im Zentrum und am 08.10. bildet zu guter Letzt Hörgeschädigtenpädagogik/ Pädagogik das Schlusslicht. Dann wird es geschafft sein. Wir wünschen dem Oberkurs nicht nur viel Kraft und Energie für die bevorstehenden Tage, sondern auch die nötige innere Ruhe und Gelassenheit. Angespannte Lockerheit.

Kurs XVIII hingegen befindet sich derzeit in den letzten Zügen der jeweils sechswöchigen Praktika und Ferien. Bald schon sind sie die Großen in der Logopädieschule, die sich dann im letzten Ausbildungsjahr befinden, wohingegen das Abenteuer für Kurs XX Ende September erst beginnt. Was folgt nach dem bestandenen Examen? Der Eintritt in die Berufswelt.

„Gehe so weit, wie du sehen kannst, denn wenn du dort angekommen bist, wirst du sehen, wie es weitergeht.“ (Thomas Carlyle) Es gibt keinen Stillstand. Erfahrungsgemäß machen die fertigen Absolventen/ Absolventinnen im Laufe der Jahre vielschichtige Erfahrungen, wechseln zu anderen Ufern, rudern zurück, setzen zum Spurwechsel an. Darunter wird es sicherlich auch Durststrecken, Orientierungsphasen und kleine Krisen geben, die es zu bewältigen gilt. Hierbei den Kopf nicht in den Sand zu stecken, ist die Kunst des Ganzen. Wie sagte Katharina von Siena einst: „Das Beginnen wird nicht belohnt, einzig und allein das Durchhalten.“ Es wird Störungsbilder geben, die einen möglicherweise zunächst straucheln lassen. Es wird Momente geben, in denen man an sich zweifeln wird. Es wird sich zeigen, in welche fachliche Richtung es geht und welche Kenntnisse mit der Zeit anfangen, zu verblassen. Die wieder zu Nebel werden.

„Das Schöne braucht das Trübe.“ (Monika Minder). Den Spaß am Ganzen nicht zu verlieren und weiterhin neugierig sowie offen zu bleiben, sind hierbei gute Helferlein – nicht nur im Berufsalltag.

„Um klar zu sehen, reicht oft ein Wechsel der Blickrichtung.“ (Antoine de Saint- Exupéry) Man brauchte sich am Morgen des 21. Septembers lediglich um 90 Grad drehen. Die Logopädieschule im Rücken. Im Süden von Kiel erblickte das Auge weit und breit keinen Nebel. Hier herrschte seit Tagesanbruch klare Sicht.

Ricarda Neuhäßer

 

Veröffentlicht von Norbert Frantzen

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert